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Digitalisierung, Videoberatung und Datenkapitalismus – Brauchen wir mehr Regeln?

Interview mit Ute Emmerich für: Netzwirtschaft.net: Digitale Workouts,
9. September 2015

Wer ist Ute Emmerich? Bitte stell Dich doch mal kurz vor.
Ich bin gelernte Journalistin und habe über 20 Jahre in diesem Beruf gearbeitet, hauptsächlich für’s Fernsehen, aber auch für den Hörfunk. Ich habe Beiträge für Medizin-, Wissenschafts- und Kulturformate produziert und war für verschiedene Talkshows tätig – für monothematische, politische Sendungen ebenso wie für sog. Boulevardtalkshows mit prominenten Gästen.

Vor sieben Jahren habe ich, wenn man das so nennen will, die Seite gewechselt: Seither arbeite ich als Medientrainerin und nutze mein journalistisches Knowhow, um Manager, Führungskräfte und andere Menschen, die im öffentlichen Interesse stehen, auf Auftritte vor Kamera und Mikrofon vorzubereiten. Was ich damals noch nicht ahnen konnte ist, dass dieses Thema gerade im Kontext der Digitalisierung immer wichtiger wird.

Diese Aufgabe begeistert mich aus vielerlei Gründen: um wirklich gut zu sein, arbeite ich mich sehr tief in die individuellen Themen meiner Kunden ein. Auf diese Weise lerne ich ständig Neues dazu und das macht meine Arbeit sehr abwechslungsreich. Besonders spannend sind außerdem die unterschiedlichen Menschen, die an meinen Seminaren teilnehmen. So bin ich jedes Mal vor neue Herausforderungen gestellt und kein Training ist wie das andere.

Das Schönste an diesem Beruf ist jedoch zu sehen, wie schnell meine Seminarteilnehmer sich entwickeln – mit welchen Unsicherheiten sie zu Beginn des Trainings vor die Kamera gehen, und mit wie viel Power und Selbstbewusstsein sie am Ende eines einzigen Tages selbst kritisch-aggressiven Fragen und Provokationen standhalten.

Damit wir Dich nicht nur aus beruflichem Blickwinkel kennenlernen, verrate uns doch auch einen kleinen Spleen von Dir.
Ich bin leidenschaftliche Kölnerin. Ist das schon ein Spleen?

Elevator Pitch! Was macht Eure Firma? Und vor allem: was macht ihr am besten, wo liegt Eure Superpower?
Zum Portfolio meiner Firma EMMERICH mediencoaching gehören Interviewtrainings (für TV, Hörfunk und Printmedien), Krisenkommunikations-Seminare, PR-Seminare sowie Trainings zur optimalen Persönlichkeitspräsentation in Business und Öffentlichkeit.

Außerdem schulen wir deutschlandweit Mitarbeiter von Banken und Versicherungen darin, Kundengespräche per Video zu führen – ein besonders faszinierendes und noch relativ neues Tätigkeitsfeld, das im Zuge der zunehmenden Digitalisierung auch für andere Branchen immer wichtiger wird: seit neuestem nutzen u.a. auch Reiseunternehmen, Immobilienfirmen, Autohäuser oder Kosmetikfirmen Videotelefonie und Videochat, um ihre Kunden individuell zu beraten. Ein Ende dieser Entwicklung ist noch lange nicht in Sicht.

Apropos Superpower: Verrätst Du uns ein „Best Practice“ Beispiel Deiner Firma, wo ihr besonders erfolgreich wart? Was waren Deiner Meinung nach die Erfolgsfaktoren?
EMMERICH mediencoaching hat sich schon früh einen digitalen Trend zunutze gemacht, der sich immer mehr durchsetzt: Nämlich den der Kundenkommunikation per Video.

Ausgegangen ist diese Entwicklung von Direktbanken, die festgestellt haben, dass ihre Kunden nicht nur online und via Telefon betreut werden möchten. Um eine individuelle und persönliche Beratung zu ermöglichen und im wahrsten Sinne des Wortes Gesicht zu zeigen, setzen sie auf die Videotelefonie, wie das in der Fachsprache heißt. Als Kunde kann man heute z. B. vom PC, Tablet oder Smartphone aus mit seinem Bankberater kommunizieren, sich per Video als Kontoinhaber legitimieren, Geldgeschäfte tätigen oder auch Versicherungen abschließen. Man kann sogar Konten am heimischen PC eröffnen, ohne umständlich seinen Ausweis beglaubigen und per Post verschicken zu müssen. Oder, noch ein Beispiel: heute ist es sogar möglich, an sogenannten Videokassen Geld zu ziehen oder Überweisungen bzw. Vollmachten auszustellen und dabei individuell von Videoberatern betreut zu werden.

Ich finde diese Entwicklung extrem spannend und habe mit meiner Firma EMMERICH mediencoaching hierzu als einer der ersten Anbieter von Medientrainings ein eigenes Schulungskonzept entwickelt. Darin lernen angehende Videoberater, optimal via Kamera mit Kunden zu kommunizieren: Dabei geht es zum einen um Mimik, Gestik, Körpersprache, anschauliches und verständliches Kommunizieren, Umgehen mit schwierigen und eskalierenden Gesprächen, Blickkontakt im richtigen Moment, besondere Regeln für Begrüßung und Verabschiedung.

Zum anderen trainiere ich aber auch um den Umgang mit der Software, die für die Videotelefonie eingesetzt wird. Je nachdem, welche Möglichkeiten die Programme bieten, schule ich die Teilnehmer darin, wann und wie sie Dokumente einblenden, wie sie Dokumente videogerecht strukturieren, wann es Sinn macht, ein Dokument frei zu schalten und den Kunden darin scrollen zu lassen, so als würde er in der Filiale in einer Broschüre blättern.

Mit diesem Angebot bin ich sehr innovativ und das Geschäft boomt: ausschließlich durch Weiterempfehlungen konnte ich meine Umsätze innerhalb eines Jahres verdoppeln.

Wie lebt ihr Digitalisierung in Eurem Unternehmen? In welchem Bereich habt ihr Digitalisierung erfolgreich um- oder eingesetzt?
Als Unternehmerin in diesem Bereich halte ich mich bezüglich des Themas Digitalisierung ganz grundsätzlich auf dem neuesten Stand und nutze sie in allen relevanten Bereichen zur intelligenten Arbeits- bzw. Alltagsoptimierung: Eine zentrale Rolle spielt die Digitalisierung für mich in den Bereichen Recherche und Kundengewinnung.

Ute Emmerich, Expertin für Digitalisierung und Online BeratungWenn Du Dir die Netzwirtschaft insgesamt, Euren Markt, Eure Firma, Deine Position ansiehst, was werden die Haupt-Herausforderungen in den nächsten Monaten oder Jahren sein?

• Herausforderung für die Gesellschaft, bzw. den Staat:
Erstens: Datenschutz, Datenschutz, Datenschutz – dafür muss einerseits die Politik sorgen, aber auch jeder einzelne muss Verantwortung übernehmen und sich genau überlegen, welche Kanäle er nutzt, und wie viel er von sich preis gibt.

Zweitens: Das Internet verstärkt Ungleichheit und vergrößert die Schere zwischen einer kleinen Minderheit und der großen Mehrheit der Menschen. Auf der einen Seite werden durch die Digitalisierung immer mehr Arbeitsplätze vernichtet. Auf der anderen entstehen viele neue Berufe. Das Problem ist jedoch, dass wenigen, sehr gut bezahlten Programmierern, Administratoren, Managern und Gründungs-Milliardären zahlreichen Logistikarbeiter bei Unternehmen wie Amazon oder Zalando gegenüber stehen. Und was ist dazwischen? Nicht viel. Wir reden über zwei extreme Pole auf der Einkommensskala, nicht über Jobs für Durchschnittsverdiener. Der Mittelstand verschwindet. Damit geht die Schere zwischen arm und reich weiter auseinander. Herausforderung an Politik und Gesellschaft ist es, diesem Trend zur sozialen Spaltung entgegenzusteuern!

• Herausforderung für die Netzwirtschaft in Deutschland / Europa:
So wie alle politischen oder wirtschaftlichen Systeme läuft auch das Netz Gefahr, von Monopolisten wie google, Uber, facebook, Amazon oder auch Airbnb missbraucht zu werden. Die Datensammelwut dieser Konzerne ist unermesslich, denn Daten bedeuten Macht. Wir liefern diese Daten freiwillig und machen uns gläsern, indem wir online einkaufen, chatten, emailen, skypen – und alle diese Bewegungen im Netz werden beobachtet, analysiert und weiter verwendet. Hier ist eine neue Überwachungskultur entstanden, die unserem Recht auf Privatsphäre und informelle Selbstbestimmung zuwider läuft. Die technischen Möglichkeiten, unsere Daten und Aktionen abzufragen, sind grenzenlos geworden, und genau das macht Großkonzerne wie google so gefährlich.

Der amerikanische Krypto-Experte Bruce Schneier hat das einmal auf den Punkt gebracht, in dem der schrieb: „Überwachung ist die dominante Geschäftspraktik im Netz.“ Bisher existieren keine Regeln für den Datenkapitalismus. Ich glaube aber, dass wir in diesem Bereich unbedingt mehr Regulierung brauchen. Damit das gelingen kann, bedarf es einer intensiven und verantwortungsvollen Zusammenarbeit von Politik, Technik und Zivilgesellschaft!

• Herausforderung für unseren Markt:
Bei der Videotelefonie werden gerade im Bankensektor hoch sensible Daten ausgetauscht. Die größte Herausforderung sehe ich bei den Anbietern von Kommunikationssoftwares, denn ihre Aufgabe ist es, sichere Programme zu entwickeln.

• Herausforderung für unsere Firma:
Ständig auf dem Laufenden zu bleiben, zu beobachten, welche technischen Neuerungen es gibt und passende, innovative Konzepte zu entwickeln.

Was hat Dich bisher am meisten am Internet geärgert, was am meisten gefreut?
Was mich ärgert ist die Naivität von vielen Usern, die pausenlos damit beschäftigt sind, Allerprivatestes zu posten, ohne zu hinterfragen, was mit ihren Daten geschieht. Sie freuen sich darüber, dass sie für die Nutzung von google, facebook etc kein Geld bezahlen müssen, reflektieren aber nicht darüber, dass sie mit ihren Daten zahlen und dadurch manipulierbar sind. Denn eins dürfte ja wohl klar sein: niemand stellt uns diese Medien „einfach so“ zur Verfügung, ohne davon ganz erheblich zu profitieren.

Was mich besonders begeistert, ist die enorme Flexibilität durch die Möglichkeit, sich weltweit zu vernetzen und über alle Grenzen hinweg zu kommunizieren. Außerdem hat es für mich als Medientrainerin und Journalistin einen unschätzbaren Wert, mich jederzeit schnell und umfassend über relevante Themen informieren zu können.

Welches „Problem“ (privat oder im Unternehmen) würdest DU gerne von einem Start-up gelöst bekommen?
SEO und Social Media Marketing. Dafür bleibt mir zu wenig Zeit.

Gib uns doch bitte eine Empfehlung für…
• einen Blog / eine Newsseite / ein Fachmagazin, mit dem/der Du Dich zu Fachthemen gerne informierst
Gerade in meinem beruflichen Kontext ist es wichtig, sich umfassend zu informieren, viele Medien quer zu lesen und Informationen zu filtern. Relevant sind für mich Internetseiten, Tageszeitungen und Wochenschriften, die nicht auf der Welle des Mainstreams mitschwimmen, sondern die sich investigativ und kritisch mit Themen auseinandersetzen, unterschiedliche Facetten beleuchten und neue Perspektiven eröffnen. Sehr gern lese ich den Blog von Sascha Lobo, da er alle diese Kriterien erfüllt.

• einen Artikel, der Dich in der letzten Zeit am meisten begeistert hat
„Im Netz der Algorithmen“ von Norbert Lossau. Darin zeigt er auf, wie stark im digitalen Zeitalter Algorithmen unser Leben bestimmen und wie sie aus vielen Informationshäppchen, die wir als Datenspuren im täglichen Umgang mit sozialen Netzwerken, Suchmaschinen oder Kunden- und Kreditkarten hinterlassen, Persönlichkeitsprofile erstellen.

• ein spannendes Buch, das Dich für Dein Business inspiriert hat
„Sie wissen alles“ von Yvonne Hofstetter. Die Expertin für künstliche Intelligenz beschreibt auf eine auch für Laien verständliche Weise, wie intelligente Algorithmen die unvorstellbaren Datenmassen, die durchs weltweite Netz fluten nutzen, um uns zu kontrollieren. Die Autorin fordert dazu auf, das einzige Supergrundrecht unserer Gesellschaftsordnung, die Menschenwürde, gegen die digitale Revolution zu verteidigen. Sie plädiert für eine neue Gesetzgebung, eine Ethik der Algorithmen und eine gesellschaftliche Debatte darüber, was der Mensch in Zukunft sein will.

• eine Veranstaltung(-sreihe), auf der Du wirklich etwas dazugelernt hast
Ich besuche regelmäßig die „Lit.Cologne“ in Köln. Ein internationales Literaturfestival, bei dem Autor*innen zu aktuellen Themen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft lesen, und darüber unter ethischen Gesichtspunkten diskutieren. Ein zentrales Thema ist hier immer wieder auch die Digitalisierung der Gesellschaft.

• das hilfreichste Tool / die hilfreichste Software für Deine Arbeit
Jede Software, die die Möglichkeit bietet, Videotelefonate zu führen.

Mit welchem Experten würdest Du am liebsten einmal 1 Tag zusammenarbeiten, und warum?
Bisher gibt es in meinem Fachbereich Videoschulung / Videotelefonie wenig andere Experten, mit denen ich mich austauschen könnte.

Einen Tag zusammen arbeiten würde ich gerne mit Yvonne Hofstetter. Was ich an ihr faszinierend finde ist, dass sie einerseits selbst Karriere im Bereich Informationstechnologie und künstliche Intelligenz gemacht hat und mit großem Erfolg ihre Firma Teramark Technologies leitet. Das Unternehmen programmiert Systeme sowohl für kommerzielle Firmen, die beispielsweise an der Börse handeln, als auch für staatliche Behörden oder die Rüstungsindustrie. Sie gerät also nicht in den Verdacht, technologiefeindlich zu sein.

Andererseits benennt sie auch die Gefahren, die von Big Data ausgehen, denn als Insiderin kennt sie auch die Abgründe der Branche. Sie ist eine unermüdliche Mahnerin für einen ethischen und verantwortungsbewussten Umgang mit der „digitalen Revolution“ und fordert ein kritisches Bewusstsein gegenüber digitalen Technologien. Und das kann ich nur unterstützen!

Quelle: Netzwirtschaft.net

(11.09.2015)