„Fremd- und Eigenwahrnehmung in Kommunikationsprozessen von Frauen in Führungspositionen“ – so lautet der Titel einer Bachelorarbeit, die im Jahr 2018 im Studiengang „Soziale Arbeit“ an der Technischen Hochschule (TH) Köln entstanden ist. Ihre Verfasserin, Carla Binkert (CB), hat mich dazu als Expertin zur Kommunikation von Frauen in Führungspositionen interviewt.
CB: Sie haben als Radio- und Fernsehjournalistin, Redakteurin und Dozentin gearbeitet und sind Spezialistin im Bereich Mediencoaching. Können Sie bitte erzählen, wie Sie in den Bereich des Coachings gekommen sind? Hierbei können Sie alles erzählen was für Sie relevant ist – Ihre Motivation sich in dem Bereich (Medien) Coaching selbstständig zu machen, ausschlaggebende Gründe, Aspekte, die dieser Beruf für Sie auszeichnet…
Ich bin gelernte Journalistin und habe über 20 Jahre in diesem Beruf gearbeitet, hauptsächlich für’s Fernsehen, aber auch für den Hörfunk. Ich habe Beiträge für Medizin-, Wissenschafts- und Kulturformate produziert und war für verschiedene Talkshows tätig – für monothematische, politische Sendungen ebenso wie für sog. Boulevardtalkshows mit prominenten Gästen. In meinen Beruf hat man es immer wieder mit Menschen zu tun, die selten oder noch nie vor einer Kamera gestanden haben, und die dann – kurz bevor es los geht – ganz aufgeregt vor einem stehen und viele Fragen stellen, zum Beispiel: „Wie wirke ich? Wo gucke ich hin? Sieht man mir mein Lampenfieber an? Hört sich meine Stimme nicht komisch an? Was darf ich sagen, und was nicht?“
Mein Job als Journalistin war es dann immer auch, diese Menschen innerhalb von kürzester fit zu machen, sie zu beruhigen und so vorzubereiten, dass sie souverän und gelassen vor die Kamera treten und ihre Botschaften überzeugend rüberbringen konnten. Und aus dieser Erfahrung heraus habe ich mein zweites Tätigkeitsfeld entwickelt, nämlich das der Medientrainerin.
Anfangs war das mein zweites Standbein. 2008 habe ich, wenn man das so nennen will, die Seite gewechselt: Seither arbeite ich als hauptberufliche Medientrainerin und nutze mein journalistisches Knowhow, um Manager, Führungskräfte und andere Menschen, die im öffentlichen Interesse stehen, auf Auftritte vor Kamera und Mikrofon aber auch auf Auftritte vor Publikum, oder auf wichtige Präsentationen im Job vorzubereiten.
Von Anfang an biete ich auch Seminare explizit für weibliche Führungskräfte und Managerinnen an, denn gerade wenn es um den optimalen Auftritt vor Kamera und Mikrofon geht, oder auch um die Selbstpräsentation vor Publikum, haben Frauen in gemischten Gruppen oft große Hemmungen, ihre Ängste und Unsicherheiten zuzugeben.
Denn ihre Auftritte, vor allem auch in den Medien, werden immer noch nach anderen Kriterien bewertet als die von Männern. Und das, obwohl Frauen im Auftritt vor der Kamera ein entscheidender Erfolgsfaktor sind*.
Verschiedene Aspekte sind in diesem Beruf für mich persönlich besonders wichtig: Um wirklich gut zu sein, arbeite ich mich sehr tief in die individuellen Themen meiner Kunden ein. Auf diese Weise lerne ich ständig Neues dazu und das macht meine Arbeit sehr abwechslungsreich. Besonders spannend sind außerdem die unterschiedlichen Menschen, die an meinen Seminaren teilnehmen. So bin ich jedes Mal vor neue Herausforderungen gestellt und kein Training ist wie das andere.
Das Schönste an diesem Beruf ist zu sehen, wie schnell meine Seminarteilnehmer sich entwickeln – mit welchen Unsicherheiten sie zu Beginn des Trainings vor die Kamera gehen, und mit wie viel Power und Selbstbewusstsein sie am Ende eines einzigen Tages selbst kritisch-aggressiven Fragen und Provokationen standhalten.
CB: Das Thema der Bachelorarbeit handelt unter anderem von Barrieren die Frauen auf ihrem Weg in eine verantwortungsvolle berufliche Position begegnen. Hierbei wird im aktuellen Diskurs insbesondere auf stereotype Erwartungshaltungen und Rollenverständnisse eingegangen. (Z. Bsp: Frauen reden mehr als Männer, Frauen können nicht mit Technik, Männer sind durchsetzungsstärker)
Wenn Sie Ihren beruflichen Weg betrachten – Sind Ihnen stereotype Erwartungen/ Vorurteile begegnet, falls ja, können Sie Beispiele hierzu nennen?
Oh ja, da habe ich natürlich Erfahrungen gemacht: Ich erinnere mich zum Beispiel an eine Redaktion, in der es dauernd Computerprobleme gab. Die hauseigenen Techniker waren ständig bei uns, und jedes Mal, wenn sie in ein Redaktionsbüro kamen, in dem nur Redakteurinnen saßen, hieß es: „Na, was hast du denn diesmal wieder angestellt?“. Das hätten sie zu Männern niemals gesagt. Bei den Redakteurinnen – auch bei mir – führte das zu einer großen Verunsicherung und zu einer gewissen Angst vor der Technik, bzw. Angst, „wieder“ etwas falsch zu machen. Von den männlichen Kollegen wurden wir belächelt. Und natürlich wäre niemand auf die Idee, gekommen, die Arbeit der Techniker infrage zu stellen …
Ein anderes Beispiel: Frauen, die sich wehren und Probleme am Arbeitsplatz ansprechen gelten meiner Erfahrung nach auch heute noch als „Zicken“, als „schwierig“ oder „anstrengend“ Übrigens leider nicht nur in der Wahrnehmung von Männern, sondern auch in der von Frauen. Das ist mir auch passiert: Ich habe in Redaktionen gearbeitet, in denen schwer gemobbt und intrigiert wurde. Wenn ich dann auf die verantwortlichen Personen zugegangen bin und sie offen und sehr direkt darauf angesprochen habe, wurde ich sofort als unfair, bedrohlich und unweiblich diffamiert. Wenn Männer dasselbe getan haben, war das „normal“ und damit akzeptiert. Generell habe ich den Eindruck, Männer wurden und werden immer noch ernster genommen, als Frauen. Und selbst wenn sie daneben liegen, nimmt man ihnen es nicht so übel wie Frauen.
So etwas kommt übrigens in jeder Branche vor – sogar bei Kommunikationstrainern, bei denen man ja erwartet, dass sie das, was sie ihren Kunden vermitteln, auch selbst umsetzen und offen, fair und gendergerecht zu kommunizieren. Doch sobald es um Macht, Vorteile und die Befriedigung der eigenen Eitelkeit geht, zählen solche Werte nicht mehr. Dann werden die Interessen in männlichen Seilschaften durchgesetzt und die Kolleginnen bleiben außen vor.
CB: Heute als Medientrainerin – Beobachten Sie, dass Stereotype/ Vorurteile bezogen auf das Geschlecht in der Arbeitswelt präsent sind? Falls ja, in welcher Form?
Die Erwartungshaltung ist doch: Frauen sollen weiblich sein, gut aussehen, sich sexy stylen usw. Die Schauspielerin Maria Furtwängler hat dazu kürzlich erzählt: „Wie oft stehe ich auf roten Teppichen mit High Heels, mit denen ich nicht mal vom Auto bis zum Veranstaltungsort komme, und trage ein Kleid, in dem ich so viel Haut zeige, dass ich friere und schlottere? Aber ich muss, so habe ich es gelernt, nach außen eine gewisse Sexyness zeigen“ (Quelle: Zeit online, 17. Juli 2018 ). Und sich dann am besten noch an den Hintern fassen lassen und das gut finden. Das ist doch pervers!
Diese Haltung ist auch nicht nur auf die Film- und Medienbranche begrenzt. Ich habe mal als freie Journalistin für die Sendung „Der Heiße Stuhl“ bei RTL gearbeitet und einen Gast eingeladen, der allen Ernstes behauptete, dass Frauen (im Büro) selbst schuld seien, wenn Männer grapschen würden, immerhin sähen sie so sexy aus. Da müsse man als Mann einfach hinlangen. Er hat mir nichts dir nichts die Opfer sexueller Übergriffe zu Täterinnen gemacht. Den Namen dieses Herrn habe ich verdrängt und den „Heißen Stuhl“ gibt es auch nicht mehr. Nur die sexistische Haltung Frauen gegenüber, die hat sich hartnäckig gehalten, bis heute. Denken Sie doch nur mal an die MeToo Debatte.
CB: Sie coachen Menschen im Bereich Persönlichkeitspräsentation. Das Mediencoaching beinhaltet u.a Medienauftritte, Interviewtraining, Präsentationstraining und TV-Training. Bei welchen Bereichen der Persönlichkeitspräsentation Ihrer Teilnehmer*innen sehen Sie den größten «Optimierungsbedarf»?
Unterscheidet sich dies nach Geschlecht?
Um es vorab zu sagen: Inhaltlich sind Frauen genau so gut wie die Männer, oftmals auch besser. Nur nehmen sie das selbst nicht so wahr.
Großen Optimierungsbedarf sehe ich bei den Themen Mimik, Körpersprache, Gestik, richtig stehen, richtig sitzen, Stimme, Sprechtempo, Satzlänge und Reaktion auf kritische Fragen.
All das ist Ausdruck von „Innerer Haltung“ und Selbstvertrauen. Menschen, die selbstbewusst sind, stehen ruhig und sicher und leicht gegrätscht da, wie ein Fels in der Brandung. Unsichere Personen senden entsprechende körpersprachliche Signale aus, die sich bereits kommunizieren, bevor sie zum ersten Mal den Mund aufgemacht haben: Sie überkreuzen die Beine, knicken ein, wibbeln vom Stand- auf’s Spielbein und zurück. Das findet man bei Männern und Frauen, aber es kommt bei Frauen tatsächlich etwas häufiger vor. Frauen neigen auch dazu, sich klein zu machen oder den Kopf schief zu legen, so ein bisschen „kleinmädchenhaft“. Vielen ist das gar nicht bewusst und wenn ich ihnen dann ihre Videoaufnahmen zeige, sind sie sehr überrascht.
Wenn dazu noch andere Merkmale kommen, beispielsweise eine schrille Stimme, ein zu schnelles Sprechtempo, fehlende Pausen oder endlos lange Sätze, wird der Eindruck von Unsicherheit verstärkt. Frauenspezifisch ist dabei nur die etwas schrillere Stimmlage – ein untrügliches Zeichen von Nervosität. Ansonsten sind auch Männer häufig Schnellsprecher, ohne Punkt, Komma und Pausen.
Ein schwieriges Thema ist vor allem für Frauen das Thema „Nachfragen nach Vorträgen“ oder „kritische Fragen in Interviews“. Objektiv betrachtet machen sie das keineswegs schlechter als Männer. Aber sie fühlen sich innerlich unsicherer, sie wollen nicht anecken und brauchen mehr Bedenkzeit. Viele Männer sind da tatsächlich anders: sie begeben sich selbstsicherer und mutiger in solche Situationen und scheuen die Konfrontation viel weniger als Frauen. Letztendlich ist aber das Bedürfnis, zum Beispiel lenkende Antworttechniken für kritische, aggressive oder manipulative Interviews zu lernen, bei Männern und Frauen gleich stark.
Einen größeren Unterschied sehe ich allerdings in der Eigenwahrnehmung von Frauen. Ich erlebe die meisten als viel selbstkritischer. Sie sind viel häufiger unzufrieden mit sich und empfinden ihre optische und inhaltliche Wirkung als sehr negativ. Und sind dann sehr erstaunt, wenn andere Menschen sie vollkommen anders wahrnehmen. Das zeigt, wie tief verunsichert selbst erfolgreiche Frauen sind.
Dazu passt übrigens etwas, das ich vor einiger Zeit gelesen habe: eine TV-Moderatorin – ich glaube, es war Anne Will – hat in einem Interview erzählt, dass Frauen, wenn sie als Studiogast eingeladen werden, erstmal zögern und sagen, es sei nicht ganz ihr Thema. Wenn sie hingegen einen Mann fragen würde, sage der meistens sofort zu und frage erst später, um welches Thema es geht.
CB: Die Menschen, mit denen Sie arbeiten, kommen (verm. auch je nach Branche) mit unterschiedlichen Bedürfnissen und Zielen zu Ihnen (Ich denke hierbei an die Bereiche, die Teilnehmer*innen besonders verbessern möchten, Z. Bsp: Imagearbeit, Professionell wirken, Überzeugungskraft). Nehmen Sie Bedürfnisse und Ziele wahr, die besonders von Frauen geäußert werden?
Frauen wollen hauptsächlich mehr Sicherheit erlangen. In der Öffentlichkeit und auch bei wichtigen beruflichen Präsentationen. Außerdem wollen sie lernen, sich gegenüber männlichen Kollegen zu behaupten bzw. durchzusetzen. Dazu gehört auch, dass sie trainieren wollen, unfaire Angriffe schlagfertig zu parieren und diese an sich abperlen zu lassen, ohne jeden Angriff persönlich zu nehmen und in tiefer emotionaler Betroffenheit zu versinken.
Meistens wird gerade in den Trainings sehr schnell klar, dass es den Frauen auch darum geht, an ihrem Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl zu arbeiten.
Hinsichtlich der Imagearbeit geht es bei Frauen vor allem um die Frage, wie sie ein positives Image nach außen transportieren, also sichtbarer werden können.
CB: Die Bachelorarbeit bearbeitet das Gebiet der geschlechtstypischen Kommunikation. Hierbei wird Kommunikationsverhalten betrachtet, das signifikant häufig bei Frauen oder Männer vorkommt. Nehmen Sie in Ihrer Arbeit als Trainerin (u. a in Ihrem Berufsfeld „Supervision für Reden und Vorträge“) Kommunikationsweisen wahr, die Sie als geschlechtstypisch bezeichnen würden?
Falls ja – Haben Sie eine Erklärung für diese?
Frauen neigen dazu, einen Konsens herstellen zu wollen. D.h., sie wollen verstanden und akzeptiert werden. Genau deshalb kommunizieren sie oft klarer und verständlicher, mit guten Argumenten, vielen Bildern und Beispielen. Und sie beherrschen die Kunst des Storytelling oft besser, als Männer. All das sind Stilmittel, mit deren Hilfe man andere besser überzeugen kann. Und darum geht es: Frauen wollen überzeugen, Männer wollen gewinnen.
Männer können sich streiten. Im Büro, auf einem Podium, vor der Kamera. Und zwar so heftig, dass man meint, sie könnten danach nie wieder ein Wort miteinander reden. Aber das ist falsch. Sobald die Situation vorbei ist, ist von der Auseinandersetzung nichts mehr zu spüren. Emotionen und Persönliches bleiben dabei außen vor. Frauen fällt es schwerer, das zu trennen. Bei Frauen führen Kontroversen häufig dazu, dass eine Distanz entsteht. Männer haben ein ausgeprägtes Bewusstsein dafür, wie sie ihre Interessen durchsetzen. Dominanzverhalten und Streit gehören nun mal dazu. Auf dem Gebiet haben Frauen einiges zu lernen.
Frauen hören zu und warten ab, bis der oder die Gesprächspartner*in den Satz beendet hat. Männer fallen anderen häufiger ins Wort oder reden einfach weiter, wenn sie unterbrochen werden. Frauen verstummen in solchen Situationen überwiegend.
Ein Grund dafür liegt möglicherweise in unterschiedlichen Sozialisierungen während der Kindheit und Jugend. Freundschaften zwischen Mädchen sind stärker von Intimität und Nähe geprägt. Kritik wird häufig nur indirekt geäußert. Dominanzstrukturen gibt es kaum.
Bei Jungen dagegen dient auch Sprache dazu, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen und ihre eigene Dominanzposition zu stärken. Deshalb unterbrechen Jungen andere auch häufig. Es geht darum, Selbstbestätigung zu erlangen und das Gegenüber herauszufordern.
Diese unterschiedlichen Erfahrungen prägen Jungen und Mädchen nachhaltig. Die erlernte Strategie wird im Erwachsenenalter beibehalten, wenn auch in abgeschwächter Form.
CB: Nehmen Sie körpersprachliche Signale wahr, die Sie als geschlechtstypisch bezeichnen würden? (u. a vor der Kamera)
Das sind vor allem die Merkmale, die ich in der Frage nach den Bereichen der Persönlichkeitspräsentation meiner Teilnehmer*innen in denen ich den größten Optimierungsbedarf sehe, bereits beschrieben habe: Unruhige, unsichere Standposition, Stand- und Spielbein, ständiges, unsicheres Wippen von einem Bein auf das andere, in der Hüfte abknicken, den Kopf leicht schief legen. Im Sitzen werden die Beine damenhaft übereinandergeschlagen, und dann wird mit dem Fuß gewippt, bis der gesamte Körper wackelt.
Ganz typisch für Frauen ist das Spiel mit dem Ring am Finger, oder mit den Haaren: Haare immer wieder aus dem Gesicht streichen oder nach hinten werfen, oder in den Haaren herumfummeln.
CB: Der aktuelle Diskurs diskutiert verschiedene Barrieren denen Frauen in Führungsposition aufgrund ihres Geschlechts begegnen. Nehmen Sie durch Ihre Arbeit und Ihren eigenen Berufsweg Barrieren für Frauen in Führungspositionen wahr?
Als freie Journalistin befand ich mich etwas außerhalb dieses Machtgefüges, über das wir ja reden. Als mir, noch relativ zu Anfang meiner Karriere, eine Redaktionsleitung angeboten wurde, habe ich abgelehnt und mich selbständig gemacht, weil es mir wichtiger war, journalistisch zu arbeiten, d.h. Themen zu recherchieren, kritisch hinter die Kulissen zu gucken, spannende und ungewöhnliche Interviewpartner zu finden und informative Beiträge zu machen. Aber selbst als freie Journalistin, die viele Ideen und Themen lieferte und sehr engagiert war, wurde ich von – tatsächlich überwiegend männlichen – Kollegen in Führungspositionen oft ausgebremst, weil sie mich als Bedrohung empfanden und keine Chefin haben wollten.
Eine andere „Barriere“ können Sie allabendlich beobachten, wenn Sie Talkshows gucken: Wie oft sehen Sie zu bestimmten aktuellen Themen reine Männerrunden? Manchmal sitzt eine Frau darin, seltener zwei. So gut wie nie sind solche Sendungen paritätisch bestückt, geschweige denn, dass die Frauen überwiegen. Dabei gibt es genug Expertinnen und weibliche Führungskräfte – Managerinnen, Bankerinnen, Wissenschaftlerinnen, Technikerinnen, Pilotinnen, Autorinnen usw. – zu allen Themen. Und warum sind Frauen in solchen Formaten so stark unterrepräsentiert? Ganz einfach: Wenn der Frauenanteil gleich groß oder höher ist, dann heißt es „Das können wir nicht machen, die Sendung ist zu frauenlastig.“ Diesen Satz habe ich in meiner Zeit als Talkshow-Redakteurin hunderte von Malen gehört. Natürlich von männlichen Führungskräften. Nicht ein einziges Mal ist der Satz gefallen: „Wir sind zu männerlastig“.
Ich bin Mitglied im Journalistinnenbund (JB), einem unabhängigen Netzwerk für Frauen in den Medien, das seit Jahren gegen die Produktion und Reproduktion von stereotypen Bildern in den Medien angeht. Der JB hat u.a. zusammen mit der „Speakerinnen-Liste“ eine umfangreiche Expertinnendatenbanken erstellt, mit dem Ziel, die Sichtbarkeit von Frauen bei Konferenzen, Panels, Talkshows und überall da zu erhöhen, wo öffentlich gesprochen wird. Damit niemand von den Organisatoren mehr behaupten kann, dass es „einfach nicht genügend gute Frauen gibt“.
Außerdem hat die „AG Gender“ des Journalistinnenbunds spezifische Trainings für Medienschaffende entwickelt mit dem Ziel, die Sensibilisierung für Gender-Aspekte zum festen Bestandteil der Aus- und Weiterbildung an Journalistenschulen zu machen. Sowas sollte dringend Schule machen. Das brauchen wir in allen Branchen.
CB: Sehen Sie einen Bedarf an Genderkompetenz (Bewusstsein über geschlechtstypische Stereotype, geschlechtsstereotyp beeinflusste Bewertung, Verständnis von Geschlecht und dessen Bedeutung) in der Berufswelt?
Falls Ja, wo und wie würden Sie ansetzen, Genderkompetenzen zu vermitteln?
Im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, Artikel 23 heißt es: „Die Gleichheit von Männern und Frauen ist in allen Bereichen, einschließlich der Beschäftigung, der Arbeit und des Arbeitsentgelts, sicherzustellen.“ Stattdessen leben wir in einer Gesellschaft, in der Geschlecht nach wie vor ein maßgeblicher Faktor für die Zuweisung von Chancen ist, für die Lebenswirklichkeit bereits in Kindheit und Jugend, für die Erwartungen an Fähigkeiten, Eigenschaften und Verhalten, für die Arrangements in Partnerschaften.
Die Berufswahl in Deutschland ist nach wie vor stark gendergeprägt. Besonders Mädchen schränken ihre Wahl ein, indem sie zum Beispiel Berufe technischer Natur meiden. Das liegt unter anderem daran, dass Technik in unserer Gesellschaft eher mit männlichen als mit weiblichen Eigenschaften assoziiert wird, mit dem Ergebnis, dass Mädchen Identifikationsmöglichkeiten fehlen, sie sich technische Aufgaben weniger zutrauen als Jungen und damit Berufsfelder ausschließen, die ihnen vielfältige und interessante Einsatzmöglichkeiten sowie häufig auch ein hohes Einkommen und langfristige Beschäftigungsverhältnisse bieten würden.
Um vor allem Mädchen technische Berufe näher zu bringen, hat der Wissenschaftsladen Bonn ein Computerspiel zur Berufsorientierung (Serious Game) mit dem Namen „Serena Game“ entwickelt. In einer fiktiven Spielwelt hat die Spielerin Aufgaben zu lösen und lernt typische Anforderungen technischer Ausbildungsberufe im Bereich Erneuerbare Energien kennen.
So lernen die Mädchen schon früh, dass Technik kein „Männerthema“ ist und es Spaß machen kann, technische Probleme zu lösen und komplexe Abwicklungen wieder ans Laufen zu bekommen. Und tatsächlich wurde durch das Spiel bei vielen Mädchen ein Interesse an Berufen im Bereich nachhaltiger Energien geweckt.
Dieses Beispiel zeigt sehr gut: Um die Gleichberechtigung von Frauen und Männern herbeizuführen, müssen wir auf allen Ebenen ansetzen: Kindheit, Schule, Studium und natürlich auch in der Erwachsenenbildung und in der Berufswelt: Warum verpflichtet man nicht jedes Unternehmen, regelmäßig genderkompetente Trainerinnen und Trainer zu engagieren, und ihre Führungskräfte in Genderkompetenzseminare zu schicken?
CB: Für Frauen, die sich beruflich etablieren möchten, gibt es zahlreiche Ratgeber (Bsp. Titel: «Erfolgreich verhandeln für Frauen- souverän, kompetent, überzeugend» oder «Weck die Chefin in dir»). Frauen erhalten darin Tipps, wie u.a. ihr Kommunikationsstil für den beruflichen Kontext optimiert werden kann. Dies betrifft beispielsweise Intonation, Tonhöhe, sowie Formulierung des Gesagten. Themen wie Statussymbol, Selbstbewusstsein und Überzeugungskraft sind Faktoren, auf die in vielen Ratgebern eingegangen wird.
Kritikerinnen äußern Bedenken, da Sie darin eine Anpassung der Frauen an stereotyp geprägte Vorstellungen einer Führungskraft sehen und somit ein Verlust an Authentizität. Was denken Sie darüber?
Nein, das denke ich nicht. Natürlich findet man in vielen Ratgebern identische Tipps. Aber das heißt doch noch lange nicht, dass Alle, die das lesen und umzusetzen versuchen, anschließend irgendeine stereotype Vorstellung erfüllen. Jede Leserin solcher Ratgeber ist eine individuelle Persönlichkeit mit individuellen Lebenserfahrungen. Deshalb wird jede auch etwas anderes aus solchen Büchern für sich mitnehmen und etwas anderes daraus machen.
Die Frage, die Sie stellen, taucht gelegentlich auch in meinen Medientrainings auf, vor allem in den Trainings, die ich für Videoberater*innen von Banken und Versicherungen gebe. Die zu schulenden Mitarbeiter*innen äußern manchmal auch die Befürchtung, in stereotype „Roboter“ verwandelt zu werden, merken aber sehr schnell, dass es darum gar nicht geht.
Denn wenn ich zum Beispiel lerne, eine ruhige Sitzposition einzunehmen und mich nicht ständig auf die Kamera zu zu bewegen, so dass mein Kunde, den ich berate, erschreckt zurückweicht, oder wenn ich in einer Präsentation eine festere und sicherere Standposition einnehme, so büße ich weder Individualität noch Authentizität ein. Im Gegenteil: wenn ich weiß, dass ich durch ein paar Kniffe sicher und souverän wirke, dann fühle ich mich entsprechend und kann mir sehr viel mehr individuelle Freiheiten erlauben.
CB: Aus Ihrer Erfahrung als Coach – Was würden Sie insbesondere Frauen raten, um als Führungskraft erfolgreich zu sein?
Frauen müssen mutiger werden und für die eigene Sichtbarkeit sorgen. Wichtig ist, sich bemerkbar zu machen und Präsenz zu zeigen, in der Öffentlichkeit und den Unternehmen. Und mehr noch: Frauen müssen offensiver werden und klare Forderungen stellen: „Ich will befördert werden, ich will mehr Gehalt, ich will das Interview geben …“ Viel zu oft warten Frauen ab, bis sie endlich gefragt werden – wenn sie überhaupt gefragt werden.
Wichtig ist es außerdem, das eigene Selbstwertgefühl zu stärken: „Ich kann das! Ich weiß, dass ich gut bin. Ich bin besser als xyz …“. Viele Frauen müssen lernen, ihr falsches Harmoniebedürfnis über Bord zu werfen und auch mal anzuecken. Und sie dürfen nicht müde werden, Stereotype, Vorurteile und Klischees zu entlarven. Frauen dürfen sich nichts gefallen lassen. Und sie müssen Sexismus sofort öffentlich machen.
Und keineswegs dürfen sie sich ausruhen auf dem, was die Frauenbewegung bisher erreicht hat. Wichtig ist es, Wissen zu teilen, funktionierende Netzwerke zu bilden und sich gegenseitig weiter zu empfehlen bzw. zu unterstützen.
Und meine allerwichtigste Empfehlung lautet: Niemals aufgeben!
CB: Welche Empfehlungen haben Sie an die Gesellschaft (Arbeitssektor/ Bildungswesen/ Individuen), um mehr Chancengleichheit auch in Führungspositionen zu schaffen?
So lange Chancengleichheit für Frauen keine Selbstverständlichkeit ist, brauchen wir unbedingt die Frauenquote. Und grundsätzlich brauchen wir eine gleiche Bezahlung für Frauen und Männer.
Das Bewusstsein dafür muss viel mehr in Schulen und Unis geschaffen werden. Ich stelle mit Entsetzen immer wieder fest, dass viele junge Frauen und Studentinnen vehement gegen die Frauenquote sind. Weil ihnen doch angeblich die Welt offen steht. Weil sie meinen, wenn sie nur gut genug sind, können sie alles erreichen. Und weil sie es ganz schlimm finden, „Quotenfrauen“ zu sein. Das gilt bei vielen jüngeren Frauen regelrecht als Schimpfwort.
Außerdem muss es zur Selbstverständlichkeit werden, dass jede Form von Sexismus ernst genommen, angezeigt und verfolgt wird. Es kann nicht sein, dass Frauen Angst haben müssen, nicht mehr befördert oder sogar gekündigt zu werden, wenn sie Übergriffe öffentlich machen.
CB: Vermissen Sie eine Frage, die Ihnen wichtig erscheint?
Möchten Sie noch etwas hinzufügen, was Ihnen am Herzen liegt?
* Es gibt eine sehr interessante Medienwirkungsstudie mit dem Titel „Erfolgsfaktoren bein Auftreten vor der Kamera“, die vom Bundesverband der Medientrainer in Deutschland (BMTD) im Jahr 2016 zusammen mit der Hochschule Offenburg durchgeführt wurde. Diese kam zu dem Ergebnis, dass Frauen vor der Kamera glaubwürdiger und kompetenter wirken als Männer: Wenn sie eine Kernbotschaft sympathisch vortragen, haben sie eine deutlich höhere Glaubwürdigkeit und Kompetenz als ein Mann mit derselben Botschaft. Und nicht nur das: 90 Prozent der Befragten teilen sogar die Meinung der Frau. Bei der identischen Botschaft des Mannes teilen nur 72 Prozent dessen Meinung.
Das gilt ganz sicher nicht nur für Medienauftritte, sondern für alle Arten von Präsentationen in Öffentlichkeit und Beruf. Ich finde, jede Frau sollte diesen Satz verinnerlichen: „Wenn Frauen eine Botschaft sympathisch vortragen, haben sie eine deutlich höhere Glaubwürdigkeit und Kompetenz als ein Mann mit derselben Botschaft!“ Das ist doch ein tolles, ermutigendes Fazit.