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Souverän und persönlich im Videocall – Interview mit Ute Emmerich, Expertin für Videosprechstunde

Souverän und persönlich im Videocall –

Wie kommunizieren Ärztinnen und Ärzte richtig mit den zu behandelnden Personen, wenn diese nicht unmittelbar vor ihnen sitzen, sondern vor einem Bildschirm?

 

Zu diesem Thema hat die Journalistin Carolin Diel mich als Medientrainerin und Spezialistin für Videokommunikation für das Magazin „Richard“ der Deutschen Apotheker und Ärztebank interviewt. Der Artikel ist erschienen in „Richard“, Heft Eins, Januar 2022

 

Welche Ärzt:innen kommen in Ihre Trainings?

Die Bandbreite ist sehr groß. Eigentlich sind alle Fachrichtungen vertreten – außer Zahnärzt*innen. Jüngere Ärzt*innen bis Mitte 50 sind besonders interessiert und computer- bzw. videoaffin. Ältere tun sich damit zum Teil schwer und sehen auch nicht unbedingt die Notwendigkeit, sich auf eine Videosprechstunde vorzubereiten.

Neben niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten buchen mich auch Ärzt*innen in Krankenhäusern sowie Vertreter*innen von standesrechtlichen Organisationen und Verbänden, die häufig mit anderen Einrichtungen oder Kolleg*innen per Videocall kommunizieren. Ich schule Ärzt*innen, die in Landeskrebsregistern arbeiten, oder auch Mitarbeiter*innen von Krankenkassen.

Was erhoffen sich diese Ärzt:innen von dem Seminar? Was sind ihre Sorgen, Ziele, Wünsche?

Es geht darum, ihnen eine generelle Unsicherheit zu nehmen. Diese bezieht sich auf verschiedene Themen:

– Zum einen sind es technische Fragen: Was für ein Equipment braucht man? Reicht die eingebaute Kamera? Oder benötigt man eine externe Webcam und ein externes Mikrofon? Wie positioniert man die Kamera? Braucht man ein Stativ? Und wie sieht es mit Licht aus?

– Zum anderen ist die Präsenz vor der Kamera ein wichtiges und auch verunsicherndes Thema: Wie wirke ich? Wie komme ich rüber? Wie sitze ich richtig, was muss ich bezüglich Mimik, Gestik, Körpersprache beachten? Wo gucke ich hin? Wie etabliere ich eine positive Beziehungsebene?

Diagnosen und Therapieverläufe im Videocall mitteilen

– Drittens geht es vielen auch darum, zu klären, mit welchen Patient*innen man überhaupt eine Videosprechstunde durchführen kann. Die Frage bezieht sich einerseits auf das Alter der Patient*innen, aber natürlich auch auf die Themen, die man mit ihnen zu besprechen hat: Kann man zum Beispiel Diagnosen per Video mitteilen? Kann man Therapieverläufe oder Veränderungen von Krankheitsbildern besprechen? Ist es sinnvoll die Videosprechstunde für Erstgespräche zu nutzen?

– Eine weitere Sorge vieler Ärzt*innen ist es, dass man die Patient*innen in der Videosprechstunde nur partiell sieht und möglicherweise nicht richtig einschätzen kann, wie es ihnen geht. Das ist natürlich in der Praxissprechstunde anders. Da erkennen Ärzt*innen unter anderem schon an der Art, wie die Patient*innen in den Raum kommen, wie sie gerade drauf sind.

Aber man muss sich immer bewusst machen, dass es darum nicht geht. Die Videosprechstunde soll die Face-to-Face-Behandlung nicht ersetzen, sondern sie ist eine Ergänzung und wesentlich sinnvoller als ein Telefonat zwischen Ärzt*innen und Patient*innen.

Die Videosprechstunde als sinnvolle Ergänzung der Face-to-Face-Sprechstunde

Warum ist die Videosprechstunde sinnvoller als ein Telefonat? Ganz einfach: Ärzt*innen können ihre Patient*innen sehen und erkennen: sind sie besonders blass? Haben sie Augenringe? Haben sie einen Hautausschlag oder blaue Flecken als Reaktionen auf Medikamente? Über sowas kann man dann direkt sprechen, und das ist wahnsinnig hilfreich.

Oft ist auch der Blick ins „Wohnzimmer“ aufschlussreich: gibt es Gegenstände oder Bilder, die etwas über Hobbys und Lebensstil verraten? Spielen die Patient*innen Golf oder Tennis? Oder läuft gerade ein Hund an der Kamera vorbei? Dann weiß ich als Ärzt*in, dass die Person sich viel an der frischen Luft bewegt. Oder türmen sich im Hintergrund Berge von Süßigkeiten? Dann weiß ich als Ärzt*in natürlich sofort, dass ich hier einen freundlichen Hinweis in Richtung gesunde bzw. ungesunde Ernährung setzen sollte.

Das sind große Vorteile, die die Videosprechstunde gegenüber dem Telefonat bietet. Oder auch, dass man seinen Patient*innen Fotos, Videos oder grafische Darstellungen zeigen kann: Was passiert in der Niere? Oder dem Herzen? Wo dockt das Medikament an? Wie verhindert die OP einen Herzinfarkt? Solche Visualisierungen schaffen Verständnis und Vertrauen und machen die Videosprechstunde sehr persönlich.

„Alles, was bedrohlich oder angstbesetzt ist, muss persönlich besprochen werden. Da geht kein Weg dran vorbei“

Was macht gute Arzt-Patienten-Kommunikation via Videocall aus?

Grundsätzlich gelten dieselben Regeln wie im Sprechzimmer. Ärzt*innen sollten auf ihre Patient*innen eingehen, sie ernst nehmen und ihnen offen und freundlich begegnen. Und da haben wir einen wichtigen Unterschied zwischen Videocall und Face-to-Face-Behandlung: in der Praxis guckt man den Patient*innen in die Augen, in der Videosprechstunde müssen Ärztinnen und Ärzte in die Kamera gucken. Denn das Objektiv, anders ausgedrückt das Auge der Kamera, ist auch das Auge der Patient*innen. Deshalb muss sich die Kamera auch auf Augenhöhe befinden.

Augenhöhe schafft in Videocalls Vertrauen

Umgekehrt werden die Patient*innen vermutlich nie in die Kamera schauen, sondern sie betrachten den Bildschirm. Und das ist natürlich gewöhnungsbedürftig.

Wichtig ist außerdem, dass man sich als Mediziner*in klar, verständlich einfach und anschaulich ausdrückt. Das gilt natürlich auch für Termine in der Praxis, aber in der Videosprechstunde ist es umso wichtiger. Denn alles, was man erzählt, muss hörverständlich sein und bei einmaligem Hören in den Köpfen haften bleiben. Erfahrungsgemäß stellen Patient*innen in der Videosprechstunde weniger Zwischenfragen als vor Ort in der Praxis.

Wenn es Ärzt*innen gelingt, all das umzusetzen und auch ein paar persönliche Worte zu finden, schafft das im Videocall Vertrauen.

Was unterscheidet die Videosprechstunde zur Kommunikation im Behandlungszimmer?

Einige Punkte haben wir bereits angesprochen:

Man kann nur partiell Diagnosen stellen. Der Blick geht nicht ins Auge der Patient*innen, sondern in die Kamera. Und man kann nicht alle Diagnosen oder Behandlungsmethoden per Video besprechen. Alles, was z.B. bedrohlich oder angstbesetzt ist, muss persönlich besprochen werden. Da geht kein Weg dran vorbei.

 Was sind Probleme in der virtuellen Kommunikation?

Häufig sind es technische Störungen: Kein Bild, kein Ton, eine verzerrte Wiedergabe, schlechte Internetverbindungen. Das ist ärgerlich, aber nicht so dramatisch. Denn zur Not kann man auf das Telefon zurückgreifen, oder man bestellt die Patient*innen doch in die Praxis ein. Oder versucht es zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal mit dem Videocall.

Ein weiteres Problem ist, wenn die Patient*innen abgelenkt und unkonzentriert sind, durch Kinder, Haustiere oder Störungen von außen. Denn dann sind sie nicht aufnahmefähig.

Wenn Ärzt*innen zu schnell sprechen oder nuscheln und die Patient*innen sie nicht gut verstehen können, ist das ebenfalls eine nicht zu unterschätzende Hürde. So etwas macht die Kommunikation schon in der Praxis schwierig, im Videocall ist das ein absolutes No Go.

„Ärztinnen und Ärzte haben die Verantwortung dafür, dass ihre Patient:innen sie verstehen“

Ebenfalls problematisch ist es, wenn Ärzt*innen monologisieren und die Patien*innen nicht die Chance haben, Zwischenfragen zu stellen. Dann verpufft das Gespräch. Hier muss man ganz klar sagen: Ärztinnen und Ärzte sind dafür verantwortlich, dass ihre Patient*innen sie verstehen. Und sie müssen darauf achten, Dialoge zu führen.

Wie kann man Vertrauen über den Videocall aufbauen?

Vertrauen kann ich aufbauen, indem ich meinen Patient*innen offen und freundlich begegne, ihnen in die Augen – respektive in die Kamera – schaue, so dass sie sich wahrgenommen fühlen.

Ich schaffe Vertrauen, in dem ich komplizierte Inhalte klar, einfach und bildhaft erkläre und ggf. mit Visualisierungen arbeite. Ich muss darauf achten, dass ich verständlich kommuniziere, muss Zwischenfragen zulassen, oder explizit nachfragen, ob zum Beispiel die Diagnose oder die Notwendigkeit einer bestimmten Therapie verstanden wurde.

Ich darf nicht zu ungeduldig sein, und ich muss in der Lage sein, mit den Emotionen meiner Patient*innen umzugehen und Empathie zu zeigen.

Zum Thema Vertrauen gehört übrigens auch, dass ich meinen Patient*innen im Vorfeld mitteile, wie viel Zeit wir für den Videocall haben – und die Zeit auch im Blick behalte. Denn sonst besteht die Gefahr, dass das Gespräch in ihren Augen sehr abrupt endet und sie noch nicht mal den Bruchteil ihrer Fragen klären konnten. Und das ist natürlich alles andere als vertrauensbildend.

Wie sind Ihre Seminare aufgebaut? Was genau machen Sie mit den Ärzt:innen?

Wie meine Seminare für Ärztinnen und Ärzte aufgebaut sind, richtet sich vor allem nach den Bedürfnissen und Erfahrungen der Teilnehmenden. Grundsätzlich sind die Trainings sehr praxisorientiert. Wir machen sehr viele Kameraübungen, zeichnen diese auf und analysieren die Videos dann gemeinsam.

Themen sind zum Beispiel:

– Vertrauen schaffen, schon bei der Begrüßung.   Souverän im Videocall. Titelblatt von "Richard", Magazin der Apotheker- und Ärztebank

Patient*innengespräche führen, das heißt:

– Diagnosen mitteilen

– Behandlungsverläufe besprechen

– Therapiemöglichkeiten erörtern

– Kommunikation mit schwierigen, kritischen Patient*innen

– Kommunikation mit aggressiven oder auch ängstlichen Patient*innen

– Umgang mit Emotionen

– Verbindlichkeit bei der Verabschiedung.

– Es geht außerdem um Mimik, Körpersprache und Gestik sowie die richtige Sitzhaltung.

– Ein weiterer Aspekt ist in diesem Kontext das Thema Blick und Blickkontakt.

Stimme, Sprechen, Atmung sind weitere wichtige Themen: also langsam, deutlich und kurze Sätze formulieren. Mit der Stimme am Satzende runtergehen. Pausen machen. Gut betonen.

Kameraübungen, Videoanalysen, Selbstreflexionen und Perspektivwechsel bewirken Souveränität und Authentizität im Videocall

Dialogführung ist ein weiterer Trainingsbestandteil. Dazu gehören unter anderem Lenkungsstrategien und Kommunikationstechniken, und dabei wird natürlich auch trainiert, Rückfragen zu stellen und Zwischenfragen zuzulassen.

– In einem weiteren Baustein geht es darum, wie man die Softwares optimal nutzt – Videos, Fotos, Grafiken etc. einblendet, wichtige Passagen durch Markierungen hervorhebt – und wie man mit zwei Bildschirmen arbeitet, dabei die Patient*innen im Blick behält und auch noch selbst gut rüber kommt.

– Auch der Umgang mit Störungen und technischen Pannen ist ein wichtiges Thema.

– In seltenen Fällen steht auch das Lampenfieber auf dem Programm. Das geht jedoch häufig nach ein paar Kameraübungen von alleine weg.

– Außerdem berate ich meine Kund*innen bei Bedarf zur Einrichtung und Ausstattung ihrer Videoarbeitsplätze – Setting, Hintergrund, Licht und Technik.

Die vielen Kameraübungen und vor allem auch die Videoanalysen schaffen bei den Teilnehmer*innen schnell Routine, Sicherheit und Selbstvertrauen. Dadurch, dass sie permanent zwischen Eigenwahrnehmung und Fremdwahrnehmung wechseln, werden sie in die Lage versetzt, in der Situation vor der Webcam jederzeit ihre eigene Wirkung hinsichtlich aller relevanten Faktoren zu reflektieren, Fehler frühzeitig zu erkennen und ihr Verhalten zu korrigieren.

Wobei haben die Teilnehmer:innen Ihrer Seminare erfahrungsgemäß die meisten Schwierigkeiten?

Tatsächlich können viele sich nicht vorstellen, dass die Videosprechstunde sinnvoll und ein Gewinn für Ärzt*innen und Patient*innen ist. Da müssen häufig innere Widerstände überwunden werden, und so arbeiten wir auch an der Inneren Haltung der Teilnehmenden. Denn wer von der Videosprechstunde überzeugt ist und sich darauf freut, der strahlt das aus. Ganz authentisch. Und so wird via Webcam eine positive Gesprächsebene geschaffen und Vertrauen aufgebaut.

Die Innere Haltung als Basis für eine positive Außenwirkung

Eine weitere Schwierigkeit ist das Thema Blick in die Kamera. Denn es erfordert einige Übung, bis man sich daran gewöhnt hat, den Impuls, ständig auf den Bildschirm zu gucken, zu unterdrücken, bzw. bis man gelernt hat, wann man unbedingt in die Kamera gucken muss und wann man den Blick getrost abwenden darf. Regeln dafür vermittele ich ebenfalls in meinen Seminaren.

Fachlich sind die Ärzt*innen ja alle Profis, aber hier geht es ganz gezielt darum, auch vor der Kamera professionell zu wirken.

Kann ein Videocall Ihrer Meinung nach eine Face-to-Face-Behandlung ersetzen?

Selbstverständlich kann und soll die Videosprechstunde nicht die Behandlung in der Praxis ersetzen. Das steht aber auch gar nicht zur Debatte.