Kaum ist die neue Autobiografie „Lebenswerk“ von Alice Schwarzer erschienen, sieht und hört man die Journalistin und Feministin auf allen Kanälen. Allerdings ist ihr nicht jede*r Interviewer*in so wohl gewogen wie Dennis Scheck oder das Moderator*innenteam der NDR Talkshow.
Deutschlandfunk Kultur Moderator Stephan Karkowsky hatte sich offenbar vorgenommen, die Autorin konsequent nicht zu ihrer Lebensleistung zu befragen, sondern sie stattdessen mit Klischees und Anfeindungen zu überhäufen.
Lenkungsstrategie 1: Souverän reagieren, sachlich argumentieren
Ihre Äußerungen zur Kölner Silvesternacht, ihr Blick auf den politischen Islam, ihre Äußerungen zum Kachelmann Prozess, ihr Schweizer Bankkonto, ihre Tätigkeit für die Bild Zeitung, ihre Haltung zur Prostitution wurden ihr ebenso vorgeworfen wie gewisse Differenzen mit der Journalistin Bascha Mika und der Kolumnistin Margarete Stokowski. Tiefer hätte man kaum in die Vorurteilskiste greifen können.
Und was macht Alice Schwarzer? Sie reagiert souverän, argumentiert sachlich, und lässt den Moderator schlichtweg verhungern:
Karkowsky: Was Sie im Buch natürlich nicht erwähnen, ist, dass die Ex-Freundin Kachelmanns von einem Zivilgericht verurteilt wurde, weil sie Kachelmann „vorsätzlich wahrheitswidrig der Vergewaltigung bezichtigt habe“. Claudia D. habe in der Absicht gelogen, Kachelmann ins Gefängnis zu bringen, sagt das Gericht. Warum lassen Sie das aus?
Schwarzer: Herr Karkowsky, Sie sind bemerkenswert voreingenommen, aber es macht Spaß, mit Ihnen zu reden.
Karkowsky: Danke schön!
Schwarzer: Ich erwähne das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, wonach Kachelmann nach diesem Urteil, wo gesagt worden ist, man habe die Wahrheit nicht finden können, behaupten kann, die Frau lüge.
Dieser Zivilprozess, der hat drei Tage gedauert, und ich weiß nicht, welcher Richter, auf welcher Basis der befunden hat in einem drei Tage währenden Zivilprozess, Herr Kachelmann habe Recht. Die acht Monate des Strafprozesses haben es nicht herausgefunden, aber genau wegen Journalisten wie Ihnen habe ich dagegengehalten.
Lenkungsstrategie 2: Vorurteile entlarven und benennen
Gut gekontert, Alice Schwarzer: Die Voreingenommenheit des Moderators wurde entlarvt und benannt, ohne ihn dabei persönlich anzugreifen. Und er hatte keine Chance, etwas dagegen zu setzen. Seine Voreingenommenheit bleibt damit in den Köpfen der Zuhörer*innen hängen.
Karkowsky: Sie erzählen Ihr Leben sehr selbstbewusst als Erfolgsgeschichte. Ein einziges Mal nur liest man, dass Sie etwas bereuen: Ein paar Millionen Euro hatten Sie in einer Schweizer Bank deponiert und dem Finanzamt verschwiegen, das schrieb Hans Leyendecker damals in der „Süddeutschen“.
Schwarzer: Seien Sie mal vorsichtig mit Zahlen, Herr Kollege.
Karkowsky: Ich zitiere aus der „Süddeutschen“.
Schwarzer: Das ist jetzt auch wieder sieben Jahre her, und ich habe Zinsen eines Kontos nicht versteuert – wir können gerne immer wieder darüber reden.
Karkowsky: Seitdem sind Sie vorbestraft, ist das richtig?
Schwarzer: Nein, das bin ich nicht.
Karkowsky: So stand es damals in der Presse.
Schwarzer: Es steht viel in der Presse.
Lenkungsstrategie 3: Klare Botschaften, keine Rechtfertigungen
Nun mag man zu dem auf dem Schweizer Bankkonto vergessenen Geld stehen, wie man will. Aber auch diesen Passus könnte man in jedem Lehrbuch für Medientrainings veröffentlichen: Denn auch hier reagiert Alice Schwarzer wieder souverän und sachlich, mit kurzen, sehr klaren Kernaussagen und Richtigstellungen – ohne sich in endlos langen Erklärungen oder Rechtfertigungen zu verzetteln und dadurch angreifbar zu machen.
Karkowsky: Deshalb spreche ich ja mit Ihnen. Ist das wirklich das Einzige in Ihrem Leben, was Sie bereuen? Ich habe in Ihrem Buch wirklich nichts Anderes gefunden.
Schwarzer: Wollen Sie über all das reden, was ich bereue? Das ist nicht so wahnsinnig interessant. Wollen wir nicht vielmehr über diese spannenden Inhalte reden, die sich in diesen 400 Seiten von „Lebenswerk“ finden?
Lenkungsstrategie 4: Vom nicht-gewollten auf das gewollte Thema lenken
Ein Paradebeispiel dafür, wie man mit Hilfe von geschickt eingesetzten Lenkungsstrategien einem Thema eine andere Richtung geben kann. „Blocken – Überbrücken – Kreuzen“ – so nennt man diese Taktik, die aus der Krisenkommunikation stammt. Und sowas kann man lernen:
- Zunächst wird die Frage abgeblockt: „Wollen Sie über all das reden, was ich bereue?“
- Im nächsten Schritt wird überbrückt und dazu sogar eine schlüssige Begründung geliefert: „Das ist nicht so wahnsinnig interessant.“ Subtext: Das, worüber ich sprechen möchte, ist für die Zuhörer*innen viel interessanter, als das, wonach Sie fragen ….
- Und zum Abschluss wird eine neuer Impuls gesetzt, der Journalist*innen zu einer entsprechenden Folgefrage zwingt: „Wollen wir nicht vielmehr über diese spannenden Inhalte reden, die sich in diesen 400 Seiten von „Lebenswerk“ finden?“
Als Medientrainerin lacht mein Herz bei diesen strategisch geschickten Antworten. Und als Frau lacht mein Herz, weil ich ohne das Engagement von Alice Schwarzer heute wohl kaum in diesem Beruf arbeiten und diesen Beitrag schreiben könnte. Dafür bedanke ich mich.
Abschließend bleibt für mich nur die Frage offen, wie man eine Autorin zu einem Interview über ihr neues Buch bitten kann, um sie dann konsequent zu diffamieren. Das ist keine Sternstunde des Journalismus, und eines Interviews im Deutschlandfunk Kultur nicht würdig.
12. Oktober 2020